BVKJ-Präsident Fischbach im Interview

Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Thomas Fischbach, äußert sich im änd-Interview zum Kinderarztmangel, untauglichen Maßnahmen im TSVG und der besten Datenschutzmethode.

Beschwert sich, dass die Politik zu spät handelt: Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.
©BVKJ

Herr Dr. Fischbach, die SPD in Schleswig-Holstein hat vor Engpässen bei der medizinischen Versorgung mit Kinder- und Jugendärzten gewarnt. Besonders betroffen seien kinderreiche Stadtteile und ländliche Regionen. Obwohl rechnerisch genügend Kinderärzte vorhanden sind, finden viele Eltern keinen Platz für ihre Kinder. Kennen Sie das Problem?

Ja, das Problem ist auch schon länger bekannt. Es gilt übrigens auch für Städte wie Berlin. Wir sind damit auch schon vor längere Zeit an entsprechenden Fachpolitiker herangetreten. Das hat aber leider bislang wenig geändert.

Und was ist der zentrale Auslöser?

Wir sind einfach zu wenige – und wir sind zu alt. Wir haben in der ambulanten Versorgung ein Durchschnittsalter von 55 Jahren. In den nächsten zehn Jahren wird etwa ein Drittel der niedergelassenen Kinder- und Jugendmediziner in den Ruhestand gehen – oder zumindest das Ruhestandsalter erreichen. Den Mangel verstärkt, dass der Nachwuchs überwiegend weiblich ist. Aber auch die Männer wollen nicht mehr so wie die Babyboomer schuften. Beides legt einen anderen Fokus auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, als es bisher der Fall war. Das begrüßen wir, aber es bedeutet einfach, dass die Lebensarbeitszeit um etwa ein Drittel abnimmt. Die leicht gestiegenen Abschlusszahlen bei den Facharztanerkennungen im Bereich Kinder- und Jugendmedizin kompensieren das bei Weitem nicht. Die Politik macht aber immer wieder den Fehler, dass sie nur Köpfe zählt, also schaut, wie viele Menschen den Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin machen und nicht die Lebensarbeitszeit im Blick hat.

Das TSVG hebt die Zulassungsbeschränkung für Kinder- und Jugendärzte auf. Das soll dem Mangel bekämpfen – wenn man Sie nun hört, eine sinnlose Maßnahme?

Klar, das Erste was einem jetzt in den Sinn kommt: Was soll das, wenn es die eh nicht gibt? So schnell können wir keine neuen Kinder- und Jugendärzte backen. Das dauert mit Studium und fünf Jahren Facharztweiterbildung. Wer soll die zusätzlichen Plätze belegen?

Was glauben Sie?

Wir haben die große Sorge, dass die Krankenhäuser einfach Pädiatersitze in ihren MVZs einrichten, sich also noch weiter in die ambulante Versorgung hereindrücken und die freiberufliche pädiatrische Facharztpraxis verdrängen.

Warum wäre das ein Problem?

Bislang steht im Gesetz, dass die Zulassungsbeschränkung ausgesetzt wird. Irgendwann wird es durch den G-BA eine neue Richtlinie geben. Wie die genau aussieht, wissen wir nicht. Gibt es dann wieder eine Bedarfsplanung? Wird sie kleinräumiger? Letztlich ist es auch egal, weil all das, was in dem Gesetz steht, das Grundproblem nicht löst: Wir haben zu wenig Kolleginnen und Kollegen.

Ist also der Mangel an Ärzten der einzige Auslöser für das Problem?

Schauen Sie sich die Situation an den Schulen oder maroden Brücken an. Die Politik scheint von den Problemen überrascht, auch wenn seit Jahren davor gewarnt wurde. Das stört uns. Sie arbeitet nicht vorausschauend, sondern kümmert sich erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Auf unsere personelle Enge haben wir schon vor mindestens zehn Jahren hingewiesen, vermutlich früher. Auch beim jeweiligen Gesundheitsminister.

Das TSVG kommt also zu spät?

Es ist doch noch viel schlimmer. Jetzt wird versucht – und diesen Tenor atmet ja das ganze Gesetz – all diejenigen, die jetzt noch arbeiten, weiter auszupressen, in dem man ihnen längere Präsenzzeiten verordnet. Mal abgesehen davon, dass praktisch jeder Arzt mit Kassensitz sowieso deutlich mehr als diese 25 Stunden arbeitet – auch wenn man all die bürokratischen Aufgaben abzieht. Von daher hätte es dieser Regelung gar nicht bedurft.

Was ist dann Ihr Problem damit?

Es ist ein Problem der Gängelung wie etwa die Vorgabe, wir sollen jetzt freie Sprechstunden anbieten. Wir betrachten das mit Sorgen. Auch hören wir jetzt immer häufiger von älteren Kollegen: „Wisst ihr was, wenn das so weitergeht, dann höre ich einfach auf!“ Es ist eine Respektlosigkeit seitens der Politik!

Sie empfinden die Vorgaben im TSVG als Beleidigung?

Ja, das ist despektierlich. Auch wenn bei der Anhörung zum TSVG seitens des BMG zurückgerudert wurde – so sei das ja gar nicht gemeint gewesen – dann sage ich: Aber genau so ist es rübergekommen. Wenn Sie in Zeitungen die Berichte zu dem Thema nachlesen, dann klingt es, als würden wir nur 20 Stunden in der Woche arbeiten und der Minister müsste jetzt kommen, um die faule Ärzteschaft mal gehörig auf Trab zu bringen. Das ist zwischen den Zeilen zu lesen. Dem widersprechen wir natürlich vehement.

Sie halten das TSVG also für vollkommen verfehlt?

Die Maßnahmen darin sind überwiegend untauglich. Es ändert nichts an unserem eigentlichen Problem. Was wir brauchen ist eine vernünftige Umsetzung des Masterplans 2020 und die kommt nicht zustande, weil sie im Interessengestrüpp der Länder hängenbleiben.

Und wenn die Verantwortlichen ihn umsetzen, wird dann alles gut?

Wenn wir dann endlich wieder ausreichend medizinischen Nachwuchs ausbilden, müssen wir gucken, wie viele davon noch in der direkten Patientenversorgung ankommen. Viele frisch Approbierte gehen zum MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung, Anmerkung der Redaktion), zu Krankenkassen oder in die Pharmaindustrie. Zurzeit würde ich von Zahlen um die 30 Prozent ausgehen, die wir so verlieren. Da müssen wir uns fragen, warum das geschieht! Mit mehr Druck überzeugt man auf jeden Fall keinen davon, sich niederzulassen.

Wenn Sie sagen: Neue Kinder- und Jugendärzte kann man nicht aus dem Hut zaubern. Was würde kurzfristig helfen, um die Situation zu entlasten?

Ganz klar: weniger Bürokratie. Hinzu kommt die um sich greifende Attestitis von den Schulen und Kindergärten. Fernab vom Infektionsschutzgesetz müssen wir da attestieren, dass zum Beispiel eine Bindehautentzündung nicht mehr ansteckend ist. Das frisst unglaublich viele Kapazitäten und ist absolut sinnfrei.

Wie könnte man bei den AUs zeitsparen?

Man könnte zum Beispiel die Kinder-AUs abschaffen. Da könnte man einfach sagen, Eltern haben pro Jahr eine bestimmte Anzahl an Tagen für die Kinderbetreuung. Das würde unglaublich viel Zeit in den Praxen sparen.

In Hamburg entwickelt die Gesundheitsbehörde einen Leitfaden für Kitas, wie lange Kinder mit welcher Erkrankung zu Hause bleiben müssen. Würde das in diesem Kontext helfen?

Ich finde das gar nicht schlecht, weil es Elternbildung unterstützt. Vielen Eltern und auch den Mitarbeitern in den Kitas würde eine solche Liste helfen. Die gesetzliche Regelung dazu gibt es ja, aber die wenigsten wissen, was drin steht. Das ist mal eine gute Initiative seitens der Politik.

Und was ist die Regel?

Meist sind die Vorstöße plakativ, aber wenig sinnvoll. Nehmen wir mal als Beispiel die Datenschutzgrundverordnung. Die erschwert unsere Arbeit ungemein und schadet dem Patienten eher, als das sie ihm dient – weil sich niemand mehr traut, wichtige Informationen an die zuständigen Stellen weiterzugeben. Noch komplizierter wird es in unserem Fall, wenn dann zum Beispiel bei einem Kind ein geteiltes Sorgerecht besteht.

Was fordern Sie in diesem Fall von der Politik?

Ich glaube, wir Ärzte haben die beste Datenschutzverordnung, die es gibt. Nämlich die ärztliche Schweigepflicht. Von der kann ich mich ja entbinden lassen. Das klappt in der Regel sehr gut und dann kann ich mich auch austauschen und dann bräuchte ich diesen ganzen bürokratischen Wirrwarr nicht, der jetzt eingeführt wurde.